BMF veröffentlicht Umsetzungsgesetz zur Marktmissbrauchsverordnung
26. Oktober 2015
Themengebiete | Berichterstattung, Kapitalmarktrecht |
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Publikationsform | Externe Publikationen |
Europäische Vollharmonisierung führt zu Handlungsbedarf bei deutschen Unternehmen
Am 3.7.2016 tritt die neue EU-Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014 (Market Abuse Regulation – MAR) in Kraft, deren Regelungen unmittelbar im deutschen Recht Anwendung finden. Die MAR wird ergänzt durch technische Standards und delegierte Rechtsakte der European Securities and Markets Authority (ESMA), die als Entwurf Ende September veröffentlicht wurden. Die EU-Kommission muss diesem Entwurf bis Ende 2015 zustimmen.
Das europäische Marktmissbrauchsrecht hat erhebliche Auswirkungen auf das deutsche Kapitalmarktrecht, da EU-Verordnungen grundsätzlich unmittelbar in den EU-Mitgliedstaaten gelten. Insoweit werden Vorschriften des deutschen Rechts (WpHG, WpAIV) ersetzt. Die bisherige Praxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) einschließlich der dokumentierte Verwaltungsauffassungen (Emittentenleitfaden) müssen angepasst werden. Das europäische Marktmissbrauchsrecht umfasst und modifiziert insbesondere die folgenden Bereiche (siehe hierzu bereits Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593 ff.):
Insiderrecht (siehe unter II.: insbes. die Modifikation des Begriffs der Insiderinformation, die Kodifikation von legitimen Handlungen und einer Regelung zur Marktsondierung)
Ad-hoc-Publizität (siehe unter III.)
Directors‘ Dealings (siehe unter IV.; insbes. die Kodifikation von Closed Periods)
Verbot der Marktmanipulation (siehe unter V.; insbes. die Rahmenbedingungen für Stabilisierungsmaßnahmen und Aktienrückkäufe)
Verschärftes Sanktionsregime durch die die MAR ergänzende die Richtlinie 2014/57/EU über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie / Market Abuse Directice – MAD) (siehe unter V.)
Das Bundesfinanzminsterium (BMF) hat am 19.10.2015 einen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften aufgrund europäischer Rechtsakte (Finanzmarktnovellierungsgesetz) veröffentlicht (Link zum Referentenentwurf auf der Internetseite des Bundesfinanzministeriums). Das Finanzmarktnovellierungsgesetz setzt u.a. die Vorgaben der überarbeiteten MAR und MAD in deutsches Recht um. Im WpHG werden zahlreiche Vorschriften aufgehoben, deren Inhalt künftig unmittelbar über die MAR geregelt ist oder an die Vorgaben der MAR angepasst. Das BMF hat um schriftliche Stellungnahmen zum Finanzmarktnovellierungsgesetz bis Freitag, 13. November 2015 gebeten. Es ist allerdings davon auszugehen, dass der nunmehr vorliegende Entwurf dieses Umsetzungsgesetzes in Teilen nach Eingang der Stellungnahmen geändert werden wird.
Für Emittenten besteht nun Handlungsbedarf, da die Vorgaben für die Erfüllung der marktmissbrauchsrechtlichen Pflichten bis Juli nächsten Jahres umzusetzen sind.
Wesentliche Auswirkungen des neuen Marktmissbrauchsregimes
I. Erweiterter Anwendungsbereich
Die MAR hat einen weiteren Anwendungsbereich als die bisherige Marktmissbrauchslinie 2003 und das deutsche Wertpapierhandelsrecht. Künftig werden neben dem geregelten Markt organisierte Handelssysteme (OTF) und damit auch der Freiverkehr erfasst. Für im Freiverkehr notierte Unternehmen galten bereits bisher das Verbot des Insiderhandels und das Verbot der Marktmanipulation (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 20a Abs. 1 S. 1 WpHG); künftig gelten auch die Regelungen der sog. Directors‘ Dealings sowie die Pflicht zum Führen von Insiderverzeichnissen für im Freiverkehr notierte Unternehmen. Darüber hinaus sind künftig Emissionszertifikate und Handlungen in Bezug auf Referenzwerte (wie z.B. LIBOR) vom Marktmissbrauchsrecht erfasst (Art. 2 Abs. 1 und 2 MAR).
II. Insiderrecht
1. Begriff der Insiderinformation
Die Definition der Insiderinformation in Art. 7 MAR entspricht inhaltlich im Wesentlichen der Legaldefinition in § 13 WpHG, der im Finanzmarktnovellierungsgesetz aufgehoben wird. Die MAR definiert in Art. 7 Abs. 2 S. 1 auch, wann eine Information als „präzise“ anzusehen ist. Neu ist, dass der Begriff der Insiderinformation auf sog. „Zwischenschritte“ ausgedehnt wird (Art. 7 Abs. 3 MAR), die EuGH Rechtsprechung im Fall Geltl/Daimler mithin nunmehr kodifiziert ist. Für die Qualifizierung eines Zwischenschritts als Insiderinformation muss eine realistische Wahrscheinlichkeit bestehen, dass das insiderrelevante Ereignis eintritt (Erwägungsgrund 16 MAR). Allerdings ist hierbei der Umfang der Auswirkungen auf den Kurs nicht zu berücksichtigen; der aus dem US-amerikanischen Recht stammende „probability/magnitude-Test“ wurde nicht eingeführt. Zu berücksichtigen ist für die Qualifikation als „präzise“ Information i.S.d. MAR auch die jüngste Entscheidung des EuGH, wonach es nicht auf die Vorhersehbarkeit der spezifischen Richtung der wahrscheinlichen Kursänderung ankommt (vgl. das noch zur wortlautgleichen Vorgängerregelung der Richtlinie ergangene Urt. v. 11.3.2015 – Rs C-628/13, „Lafonta“).
Nach der MAR kann in Zukunft auch die vom Bundesgerichtshof bereits im Jahr 2010 angedeutete Möglichkeit genutzt werden, im Nachhinein (ex-post) vorliegende Informationen, wie beispielsweise die Reaktionen des Marktes auf die Veröffentlichung, zur Überprüfung der Kurserheblichkeit der Insiderinformation heranzuziehen (Erwägungsgrund 15 MAR).
Die ESMA gibt Leitlinien für eine nicht erschöpfende Liste von typischen Insiderinformationen heraus.
2. Insiderrelevante Tatbestände
Verboten sind nach Art. 14 MAR
das Tätigen von Insidergeschäften (Handelsverbot)
die Empfehlung von bzw. die Anstiftung zu Insidergeschäften (Empfehlungsverbot) und
die unbefugte Weitergabe von Insiderinformationen (Weitergabeverbot).
Dies entspricht grundsätzlich der Regelung des bisherigen § 14 WpHG, der mit dem Finanzmarktnovellierungsgesetz in § 19 WpHG (neu) geändert wird. Neu ist, dass unter den Tatbestand der „Nutzung“ von Insiderinformationen nunmehr auch die Stornierung oder Änderung eines vor Erlangung der Insiderinformation erteilten Auftrags fällt (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 MAR und § 19 Abs. 1 Nr. 6 WpHG (neu)). Dies könnte insbesondere beim Beteiligungsaufbau unterhalb der Kontrollschwelle Bedeutung erlangen, wenn beispielsweise der einer Bank erteilte Kaufauftrag nicht mehr geändert oder storniert werden kann, wenn der Käufer im Zuge eines Beteiligungserwerbs eine Insiderinformation erhält. Neu ist auch, dass die Empfehlung oder das Verleiten zum Erwerb oder zur Veräußerung von Finanzinstrumenten einen Insidertatbestand darstellen kann (Art. 8 Abs. 2 a) MAR und § 19 Abs. 1 Nr. 5 WpHG (neu)).
3. Legitime Handlungen
Grundsätzlich gilt, dass bei Primärinsidern die „Nutzung“ der Insiderinformation vermutet wird. Die Vermutung der Nutzung gilt nicht bei sog. legitimen Handlungen (Art. 9 MAR), kann mithin widerlegt werden. Das Finanzmarktnovellierungsgesetz enthält am Ende des § 19 WpHG (neu) einen Verweis auf Art. 9 MAR. Damit wurden die in der „Spector Photo Group“-Entscheidung vom EuGH aufgestellten Grundsätze vom europäischen Gesetzgeber kodifiziert.
Die MAR listet einige (nicht abschließende) Fallgruppen auf, bei deren Vorliegen der Tatbestand eines Insiderhandelsverbot nicht angenommen wird, wie z.B.
Hedging-Geschäfte, sofern die juristische Person durch wirksame Regelungen und Verfahren die Unterbindung des unternehmensinternen Informationsflusses sichergestellt hat (z.B. durch Errichtung von angemessenen Informationsbarrieren („Chinese Walls“) (Art. 9 Abs. 1 lit. a) MAR);
Handlungen sog. Market-Marker, wenn sie in ihrer legitimen Eigenschaft als Bereitsteller von Marktliquidität tätig sind (unzulässig bleibt weiterhin das sog. Frontrunning, bei dem ein Eigengeschäft in Kenntnis von Kundenaufträgen getätigt wird)(Art. 9 Abs. 2 lit. a) MAR);
befugtes Ausführen von Aufträgen Dritter (Art. 9 Abs. 2 lit.b) MAR) und
Erfüllung von vor dem Erhalt der Insiderinformation eingegangenen Geschäften (sofern diese in gutem Glauben und nicht zur Umgehung des Handelsverbots eingegangen wurden) (Art. 9 Abs. 3 MAR).
4. Transaktionen nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
Grundsätzlich gilt das Handelsverbot auch für die im Zuge eines Unternehmenszusammenschlusses erlangten Insiderinformationen. Allerdings stellt die bloße Umsetzung des eigenen Erwerbsbeschlusses weiterhin kein Nutzung von Insiderinformationen dar (Art. 9 Abs. 5 MAR). Die Nutzung einer Insiderinformation für den bloßen Beteiligungsaufbau (unterhalb der Kontrollschwelle) unterfällt jedoch nicht dieser Safe Harbour-Ausnahme und kann daher einen Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot begründen.
Es sind weitere M&A-Konstellationen denkbar, die nicht den Insidertatbestand erfüllen, wie z.B. der Abschluss von Paketkaufverträgen im Vorfeld öffentlicher Übernahmen oder von Vereinbarungen über die Annahme eines späteren Übernahmeangebots (Irrevocable Undertaking), wenn beide Parteien den gleichen Kenntnisstand haben. Es ist davon auszugehen, dass die „Masterplan“-Theorie auch weiterhin gilt (vgl. Erwägungsgrund 31 Satz 2 MAR). Dies entspricht der bisherigen Verwaltungspraxis der BaFin.
5. Marktsondierung
Art. 11 MAR erkennt das Interesse der Marktteilnehmer am Market Sounding ausdrücklich an und erlaubt die Weitergabe von Insiderinformationen unter bestimmten Bedingungen, die im Wesentlichen die bereits bestehende Marktpraxis kodifiziert. Schon bisher war es zulässig, dass ein Unternehmen auf der Verkäuferseite Gespräche mit einem Emittenten über ein mögliches Geschäft führt und beschließt, die Interessen potentieller Anleger abzuschätzen, um die Bedingungen festzulegen, unter denen das Geschäft zustande kommt. Damit ist diese Praxis als wertvolles Instrument zur Einschätzung von Platzierungschancen im Rahmen der Kommunikation mit den Aktionären weiterhin zulässig. Die ESMA hat nunmehr die Meldepflichten für die „offenlegenden Marktteilnehmer“ konkretisiert und Vorschläge für die Melde- und Dokumentationspflichten unterbreitet.
6. Insiderlisten
Die Pflicht zur Führung von Insiderlisten (Art. 18 MAR – bisher Insiderverzeichnisse nach § 15b WpHG, der durch das Finanzmarktnovellierungsgesetz aufgehoben wird) trifft – wie bislang – Emittenten von Finanzinstrumenten und Personen, die im Auftrag oder für Rechnung des Emittenten handeln. Insiderlisten sind künftig in dem von der ESMA in ihren technischen Standards vorgegebenen Format zu führen. Unter anderem ist aufzuführen, wann „wahrscheinlich“ die Ad-hoc-Meldung über die Insiderinformation veröffentlicht wird. Die elektronische Aufbewahrungspflicht von künftig mindestens 5 Jahren gilt ab Erstellung oder Aktualisierung der Listen; dabei dürfen bei Aktualisierungen bisherige Informationen nicht gelöscht werden. Neu ist die Möglichkeit der Befreiung von der Listenführungspflicht von Emittenten, deren Finanzinstrumente an einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen sind (Art. 18 Abs. 6 MAR). Da der Emittent in einem solchen Fall aber auf Nachfrage der BaFin eine Insiderliste vorlegen muss, läuft dieser Ausnahmetatbestand praktisch leer (Art. 18 Abs. 6 lit b) MAR).
ESMA hat in ihren Draft Technical Standards den Entwurf einer Implementierungsverordnung für das Format und die Aktualisierung von Insiderlisten vorgelegt (Draft implementing technical standards on the format of the insider lists and format for updating the insider lists, ESMA/2015/1455, p. 300).
III. Ad-hoc-Publizität
Die Offenlegung von Insiderinformationen (sog. Ad hoc-Publizität) entspricht im Grundsatz dem schon bisher geltenden Recht; die Neuregelung des Finanzmarktnovellierungsgesetzes wird in § 20 WpHG (neu), der den bisherigen § 15 WpHG ersetzt, auf die MAR verweisen. Neu ist, dass diese Pflicht auch für Freiverkehrsemittenten gilt, soweit diese nicht schon bereits jetzt nach den AGB der jeweiligen Börse publizitätspflichtig waren. ´
Ein Aufschub der Ad hoc-Veröffentlichung ist entsprechend dem schon bisher nach § 15 Abs. 3 WpHG geltenden Grundsatz möglich, wenn keine Irreführung der Öffentlichkeit zu erwarten und die Vertraulichkeit der Information gewährleistet ist (Art. 17 Abs. 4 MAR). Da der Aufschub „auf eigene Verantwortung“ erfolgt, ist auch unter der MAR davon auszugehen, dass es einer Beschlussfassung des Vorstands bedarf. ESMA schließt aus dieser Verantwortungszuordnung, dass Unternehmen ein Mindestmaß an Organisation und einen Prozess verfügen müssen, um rechtzeitig über das Vorliegen einer Insiderinformation und den etwaigen Aufschub einer Veröffentlichung zu entscheiden.
Es wird aus der MAR nicht deutlich, wann bei einem Informationsleck oder einem Gerücht die Publikationspflicht besteht. Art. 17 Abs. 7 MAR verlangt jedenfalls dann eine Ad hoc-Mitteilung, wenn das Gerücht so präzise ist,dass zu vermuten ist, die Vertraulichkeit der Insiderinformation sei nicht mehr gewährleistet. Bisher hat die BaFin dem Emittenten in diesen Fällen gestattet, sich auf eine „Kein Kommentar“-Strategie zurückzuziehen.
Neu ist, dass die Offenlegung einer Insiderinformation zur Wahrung der Stabilität des Finanzsystems unterbleiben kann, wenn ansonsten die „finanzielle Stabilität des Emittenten und des Finanzsystems untergraben wird“, der Aufschub der Veröffentlichung im öffentlichen Interesse liegt, die Geheimhaltung der Informationen gewährleistet werden kann und die zuständige Behörde dem Aufschub zugestimmt hat (Art. 17 Abs. 5 MAR).
Nach Art. 17 Abs. 11 MAR erarbeitet die ESMA Leitlinien für die Erstellung nicht abschließender indikativer Listen zur Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe „berechtigte Interessen“ und „Irreführung der Öffentlichkeit“, die maßgeblich für eine zulässige Selbstbefreiung von der Publizitätspflicht sind. Die Listen werden maßgeblichen Einfluss auf die künftige Unternehmens- und Aufsichtspraxis haben.
Die Insiderinformationen müssen künftig für einen Zeitraum von mindestens 5 Jahren (und nicht wie bisher für mind. 1 Monat) auf der Website der Gesellschaft für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Darüber hinaus werden umfangreiche Dokumentationspflichten auf die Emittenten zukommen. ESMA hat einen Vorschlag für eine EU-Verordnung vorgelegt, in der die Einzelheiten der Berichtspflichten festgelegt werden (Draft implementing technical standards on the technical means for appropriate public disclosure of inside information and for delaying the public disclosure of inside information, ESMA/2015/1455, p. 293).
IV. Directors‘ Dealings
1. Publizitätspflicht
Geschäfte von Führungskräften mit Finanzinstrumenten ihres Emittenten sind künftig unverzüglich – spätestens drei (und nicht wie bisher fünf) Tage – nach dem Geschäftsabschluss zu melden und von dem Emittenten zu veröffentlichen (Art. 19 MAR; § 15a WpHG wird durch das Finanzmarktnovellierungsgesetz aufgehoben). Die für Führungskräfte und ihnen nahestehenden Personen geltende Meldepflicht nach Art. 19 Abs. 1 MAR gilt künftig auch für Emittenten des Freiverkehrs.
In sachlicher Hinsicht wird der Anwendungsbereich der Meldepflicht auf jedes Eigengeschäft in Aktien oder Schuldtiteln (neu) des Emittenten oder damit verbundenen Derivaten oder andere Finanzinstrumente ausgeweitet. Damit kann nun auch das Verpfänden bzw. Verleihen von Finanzinstrumenten eine Meldepflicht auslösen. Unter die Neuregelung der Directors‘ Dealings fallen auch die Geschäfte eines Vermögensverwalters, sofern dieser nach freien Ermessen handelt (Art. 19 Abs. 7 lit. b) MAR). Dies hat insbesondere Auswirkungen auf das Geschäftsmodell von Investment Funds. Bei Optionen wird die Meldepflicht sowohl bei Erwerb als auch bei deren Ausübung ausgelöst. Der Schwellenwert für meldepflichtige Transaktionen liegt bei 5.000 EUR p.a. und entspricht damit dem bisherigen Wert in § 15a Abs. 1 S. 5 WpHG. Die nationale zuständige Behörde ist befugt, den Schwellenwert auf 20.000 EUR anzuheben (Art. 19 Abs. 9 MAR). ESMA wird eine Übersicht über die nationalen Schwellenwerte auf ihrer Website veröffentlichen.
Der Emittent ist verpflichtet, seine Führungskräfte schriftlich über deren Pflichten zu belehren; die Führungskräfte sind ihrerseits wiederum verpflichtet, ihnen nahestehende Personen über deren Directors‘ Dealings-Pflichten aufzuklären. Die Emittenten sind künftig verpflichtet, fortlaufend eine Liste sämtlicher Führungskräfte zu führen, die in den Anwendungsbereich der Meldepflichten fallen.
ESMA macht detaillierte Vorgaben in Bezug auf das Format und stellt ein Muster zur Verfügung, in dem die Directors‘ Dealings künftig gemeldet und veröffentlicht werden müssen; diese sollen in einer Verordnung kodifiziert werden (Draft implementing technical standards on the format and template for notification and public disclosure of managers’ transactions, ESMA/2015/1455, p. 312).
2. Handelsverbote für Führungskräfte in bestimmten Zeitfenstern („Closed Period“)
Neu ist die Einführung eines Handelsverbots für Führungskräfte während eines sog. geschlossenen Zeitraums („closed period“) von 30 Kalendertagen vor Ankündigung eines Zwischenberichts oder eines Jahresabschlussberichts (Art. 19 Abs. 11 MAR). Sofern der Emittent (auch nach Vorgaben der jeweiligen Börsenordnung) zur Quartalsberichterstattung verpflichtet ist, kann sich das Handelsverbot auf einen Zeitraum von bis zu vier Monaten pro Jahr erstrecken. In besonderen Ausnahmefällen (z.B. Notverkäufe von Aktien, Aktienoptionsprogramme) kann der Emittent selbst Eigengeschäfte gestatten (aber: kein Dispens von Insiderverboten – Art. 19 Abs. 12 MAR).
V. Marktmanipulation
Die Regelung der Marktmanipulation knüpft an die Rechtslage nach der Marktmissbrauchsrichtlinie 2003 an. Neu ist, dass künftig bereits der Versuch verboten ist (Art. 15 MAR). Die bisherige Regelung der Marktmanipulation in § 20a WpHG wird durch das Finanzmarktnovellierungsgesetz aufgehoben und in § 21 WpHG(neu) in Anlehnung an die MAR geregelt. Als verbotene Handlungen kommen jede Art von handels- und informationsgestützter Marktmanipulationen in Betracht. Eine nichterschöpfende exemplarische Aufzählung enthält Art. 12 Abs. 2 MAR; im Anhang I der MAR finden sich weitere Indikatoren für manipulatives Handeln. Neu ist gegenüber der bisherigen Rechtslage die Aufnahme des manipulativen Hochfrequenzhandels in den Beispielskatalog; neu ist auch die Nennung von Sondertatbeständen für die Manipulation bestimmter Referenzwerte und Indizes, die unter dem Eindruck der LIBOR-Manipulationen in die MAR aufgenommen wurden. Hinsichtlich der Umsetzung hat die ESMA einen gesonderten Verordnungsvorschlag unterbreitet.
Wie schon nach bisheriger Rechtslage enthält die MAR Ausnahmen für zulässige Marktpraktiken, nämlich insbesondere für Aktienrückkaufprogramme und Stabilisierungsmaßnahmen. Diese Ausnahmen gilt nicht für sonstige Finanzinstrumente, wie z.B. Anleihen oder Derivative. ESMA legt in ihren technischen Standards die Bedingungen fest, unter denen Aktienrückkaufprogramme zulässig sind (Draft regulatory technical standards for the conditions that buy-back programmes and stabilisation measures must meet, ESMA/2015/1455, p. 228).
IV. Verschärfte Sanktionen
Nachdem der Gesetzgeber bereits verschärfte Sanktionen im Kapitalmarktrecht durch das Umsetzungsgesetz zur Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie (Link zum Umsetzungsgesetz) eingeführt hat (siehe dazu den Gastbeitrag von Prof. Dr. Seibt in Der Betrieb 42/2015 v. 16.10.2015), fordern MAR und MAD nun ebenso die Einführung verschärfter Sanktionen.
Die die MAR ergänzende MAD ist spätestens mit Inkrafttreten der MAR am 3.7.2016 in nationales Recht umzusetzen. Die Mindestvorgaben sind stark differenziert und eingriffsintensiv und gehen teilweise über den Bußgeldrahmen im Marktmissbrauchsbereich (§ 39 WpHG) und die von der BaFin im November 2013 veröffentlichten Bußgeldleitlinien hinaus. Die Vorgaben der MAD werden in § 109 WpHG (neu) umgesetzt. Dort wird die Schwelle der Tatbestandsmäßigkeit von Leichtfertigkeit auf einfache Fahrlässigkeit abgesenkt.
Bei Verstößen gegen die Pflicht zur Ad hoc-Publizität ist beispielsweise eine Mindestgeldbuße von bis zu 1 Mio Euro vorgesehen, für Verstöße gegen die Offenlegungspflichten im Bereich von Directors‘ Dealings und Insiderlisten von bis zu 500.000,– Euro. Bei juristischen Personen sind die finanziellen Sanktionen noch drastischer: Der Mindestbußgeldrahmen bemisst sich am Gesamtkonzernumsatz und kann bis zu 15% des Umsatzes betragen. Zudem müssen behördliche Sanktionsentscheidungen – bereits vor deren Bestandskraft – mit namentlicher Nennung der verantwortlichen Person für die Dauer von mindestens 5 Jahren öffentlich bekanntgemacht werden (sog. „naming and shaming“) (Art. 34 Abs. 1 MAR, § 114 WpHG (neu)); Ausnahmen können aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zugelassen werden. Die Kriterien für die konkrete Bußgeldzumessung bleiben unverändert.
Darüber hinaus sieht die MAD eine strafrechtliche Sanktionierung von vorsätzlichen Rechtsverstößen im Bereich Insiderrecht und Marktmanipulation vor. Diese werden vom Finanzmarktnovellierungsgesetz in §§ 107, 108 WpHG (neu) umgesetzt. In Umsetzung der MAR ist künftig die informationsgestützte Marktmanipulation nur strafbar, wenn der Täter mit der Absicht gehandelt hat, für sich oder für Dritte einen Gewinn zu erzielen; allerdings ist vorsätzliche informationsgestützte Marktmanipulation künftig immer bußgeldbewehrt. Nach Art. 8 Abs. 1 und 2 MAD sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn eine Straftat zu ihren Gunsten von Entscheidungsträgern des Unternehmens begangen oder ermöglicht wurde. Diese Regelung wird voraussichtlich aber nicht zur Einführung eines echten – in Deutschland umstrittenen – Unternehmensstrafrechts führen.
Handlungsbedarf für Emittenten
Grundsätzlich bleiben zwar die vom WpHG bekannten Grundstrukturen des Marktmissbrauchsrechts bestehen. Jedoch wird sich der administrative Aufwand für die unternehmensinterne Compliance deutlich erhöhen. Denn zum einen wird die Rechtserkenntnis noch stärker von den detailreichen Vorgaben des europäischen Gesetzgebers und der ESMA-Interpretationspraxis geprägt werden. Zum anderen werden vor dem Hintergrund des verschärften Sanktionsregimes die verwaltungsrechtlichen Verfahren gegenüber der BaFin sowie straf- und auch zivilrechtliche Streitigkeiten größere Bedeutung erlangen. Dementsprechend wird auch der Regress gegenüber Geschäftsleitern, Konzernunternehmen und Vertragspartnern in den Fokus rücken.
Mit Blick auf die zu erwartenden verschärften Sanktionen müssen bis spätestens Juli 2016 geeignete Maßnahmen zur Umsetzung der neuen Anforderungen der MAR eingeleitet werden. Dazu gehört insbesondere eine zeitnahe Umsetzung der von der ESMA in ihrem Abschlussbericht der EU-Kommission vorgeschlagenen technischen Standards. Die zu deren Umsetzung zu erwartenden EU-Verordnungen regeln unmittelbar das Kapitalmarktrecht in Deutschland und werden voraussichtlich spätestens im Juli 2016 in Kraft treten. Das Finanzmarktnovellierungsgesetz wird voraussichtlich ebenfalls spätestens im Juli 2016 in Kraft treten.
Diese Zusammenfassung wurde erstellt von Freshfields Bruckhaus Deringer LLP.
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