EuGH präzisiert Definition der Insiderinformation
9. April 2015
Themengebiet | Kapitalmarktrecht |
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Publikationsform | Externe Publikationen |
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 11. März 2015 (Rechtssache C-628/13) die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Insiderinformation im Sinne des europäischen Marktmissbrauchsrechts weiter präzisiert.
Der EuGH stellt klar, dass der Erwerb eines Finanzinstruments, das den Erwerb von Aktien ermöglicht, im Hinblick auf den börsennotierten Erwerber eine Insiderinformation darstellen kann. Dies gilt selbst dann, wenn der Erwerber noch nicht abschätzen kann, in welche Richtung sich der Aktienkurs seines Unternehmens nach Bekanntwerden dieser Investitionsentscheidung entwickeln wird, d.h. ob der Markt den potenziellen Erwerb als positive oder negative Information werten wird. Die Entscheidung wird auch nach Inkrafttreten der neuen Marktmissbrauchsverordnung am 3. Juli 2016 ihre Aussagekraft behalten.
Hintergrund und Inhalt der Entscheidung
1. Vorlage durch die französische Cour de cassation
Das Urteil des Gerichtshofs erging auf Grundlage eines Ersuchens auf Vorabentscheidung der französischen Cour de cassation. Diese hatte über einen Rechtsstreit zwischen dem Vorstandsvorsitzenden einer börsennotierten, auf Investitionen spezialisierten französischen Aktiengesellschaft und der französischen Finanzmarktaufsichtsbehörde (Autorité des marchés financiers (AMF)) zu entscheiden. Dabei ging es um die Veröffentlichung der Details zu Verträgen über „Total Return Swaps“ zwischen der Erwerberin und mehreren Finanzinstituten, die den Erwerb von 66 Mio. Aktien an der Saint-Gobain SA ermöglichten.
Streitentscheidend war die Frage, ob in dem Abschluss der Swap-Geschäfte bereits eine „präzise Information“ im Sinne des Insiderrechts zu sehen war. Die AMF hatte dies mit der Begründung bejaht, dass bereits die Möglichkeit des Erwerbs einer erheblichen Beteiligung eine meldepflichtige Insiderinformation sei, und darauf basierend eine Geldbuße u.a. gegen den Kläger festgesetzt. Nach Auffassung des Klägers lag dagegen keine Insiderinformation beim Abschluss der Swap-Verträge vor, da es nicht möglich gewesen sei vorherzusagen, ob sich die Offenlegung der Information zur möglichen Beteiligung an Saint-Gobain positiv oder negativ auf den Kurs der Aktien der die Finanzinstrumente erwerbenden Gesellschaft auswirken würde. Eine Information sei nur dann „präzise“ im Sinne des harmonisierten Insiderrechts, „wenn sie demjenigen, der über sie verfüge, eine Vorhersage ermögliche, in welche Richtung sich der Kurs der betreffenden Aktie ändern werde, wenn die Information öffentlich bekannt“ würde. Da diese Vorhersage zum Zeitpunkt des Abschlusses des Swap-Verträge noch nicht möglich gewesen sei, habe sich der Kläger und die die Finanzinstrumente erwerbende Gesellschaft keinen Vorteil gegenüber anderen Marktteilnehmern verschafft.
2. Entscheidung des EuGH
Der Europäische Gerichtshof hat erneut klargestellt, dass für die Marktteilnehmer die Rechtssicherheit durch eine genauere Bestimmung der vier wesentlichen Tatbestandsmerkmale der Insiderinformation erhöht werden soll, nämlich 1) ob die Information präzise ist, 2) ob die Information nicht öffentlich bekannt ist, 3) ob sie direkt oder indirekt ein oder mehrere Finanzinstrumente des Emittenten betrifft und 4) ob sie, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs der Aktie oder damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen (so schon "Geltl"-Entscheidung des EuGH). Die vom vorlegenden französischen Gericht gestellte Frage bezog sich allerdings ausschließlich auf das erste Tatbestandsmerkmal der Definition des Begriffs "Insiderinformation", nämlich ob der Erwerb von Finanzinstrumenten bereits eine "präzise Information" darstellt, wenn deren Auswirkungen auf den Aktienkurs des erwerbenden Unternehmens nicht eindeutig vorhersehbar sind.
Der EuGH stellt in seiner Entscheidung klar, dass durch das Merkmal „präzise“ lediglich vage oder allgemeine Informationen, die keine Schlussfolgerung hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkungen auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente zulassen, vom Anwendungsbereich des Insiderrechts ausgeschlossen werden sollen. Nach Auffassung des EuGH soll es für das Vorliegen einer Insiderinformation hingegen nicht darauf ankommen, ob es die Information erlaubt, die Richtung zu bestimmen, in die sich der Kurs der betreffenden Aktien/Finanzinstrumente ändern wird. Die Information über den Erwerb von Finanzinstrumenten kann bereits für sich genommen von einem verständigen Anleger als Teil der Grundlage einer Anlageentscheidung genutzt werden und genügt damit den Anforderungen an eine Insiderinformation. Die mögliche Unsicherheit über die Auswirkungen einer Information auf die Kursentwicklung darf nach Auffassung des EuGH nicht dazu dienen, sich einer Veröffentlichung bestimmter Informationen vorerst zu enthalten und so zum Nachteil anderer Marktteilnehmer von ihnen zu profitieren.
Auswirkungen auf die Beratungspraxis
Der EuGH hat mit dieser Entscheidung im Anschluss an die Geltl-Rechtsprechung seine Definition des Begriffs "Insiderinformation" weiterentwickelt. Für die Praxis bedeutet dies, dass die Beurteilung, ob eine nicht öffentlich bekannte Information „präzise“ ist, allein davon abhängt, ob aus ihr eine Schlussfolgerung hinsichtlich des „ob“ der Auswirkungen auf den Kurs eines Finanzinstruments gezogen werden kann. Die Bewertung des „wie“, d.h. ob die Information eine Kurssteigerung oder -senkung der Finanzinstrumente des Meldepflichtigen zur Folge hat, bleibt dagegen allein dem verständigen Anleger überlassen. Zur Abgrenzung bietet sich die von dem EuGH verwendete Formulierung an, wonach nur „vage oder allgemeine Informationen (…), die keine Schlussfolgerungen hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkungen auf den Kurs“ zulassen, vom Anwendungsbereich des Insiderrechts ausgenommen sein sollen.
Die vom EuGH entschiedene Frage ist bislang weder in der deutschen Rechtsprechung noch von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungaufsicht (BaFin) vertieft erörtert worden. Nach der im BaFin-Emittentenleitfaden enthaltenen Definition zeichnet sich eine „konkrete“ (insiderrelevante) Information dadurch aus, dass sie eine „hinreichende Grundlage für eine Einschätzung über den zukünftigen Verlauf des Börsen- oder Marktpreises eines Insiderpapiers“ bilden kann. Ausreichend ist dabei, dass es aus Sicht eines verständigen Anlegers wahrscheinlich erscheint, dass es zu einer erheblichen Preisbeeinflussung kommen kann. Damit ist gerade nicht gefordert, dass die – positive oder negative – Tendenz der Kursentwicklung bereits absehbar sein muss. Es ist damit zu rechnen, dass die BaFin diese Praxis künftig unter Berücksichtigung der EuGH-Entscheidung konkretisieren wird.
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