Leitsätze für den Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat
4. Juli 2016
Themengebiete | ESG (inkl. Nachhaltigkeit & Governance), IR-Kompetenz |
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Publikationsform | Externe Publikationen |
Initiative "Developing Shareholder Communication"
Vorbemerkung
Die geplante Änderung der EU-Aktionärsrechterichtlinie sieht vor, dass institutionelle Investoren künftig eine aktivere Rolle in der Überwachung börsennotierter Unternehmen übernehmen sollen. Um diese Aufgabe angemessen ausfüllen zu können, ist ein intensiverer Dialog mit dem Aufsichtsrat, als zentralem Überwachungsorgan, nötig. Ziel ist es, die Transparenz zu erhöhen und gegenseitiges Vertrauen zu schaffen.
Dabei kann eine direkte Kommunikation zwischen Investor und Aufsichtsrat einen Mehrwert für beide Seiten bieten: Ein solcher Dialog erlaubt es Investoren, sich aus erster Hand zu informieren und sich ein Bild etwa darüber zu verschaffen, ob der Aufsichtsrat richtig besetzt ist und effektiv arbeitet. Der Aufsichtsrat wiederum hat die Möglichkeit, vor allem ausländischen Investoren das dualistische deutsche Corporate-Governance-Modell mit Mitbestimmung zu erläutern und um Verständnis für unternehmensindividuelle Governance-Lösungen zu werben.
Der rechtliche Rahmen eines Dialogs zwischen Investor und Aufsichtsrat ist derzeit nicht klar definiert. Der Dialog wird indes durch das deutsche Aktien- und Kapitalmarktrecht nicht ausgeschlossen und schon heute in deutschen Unternehmen praktiziert. Insbesondere das aktienrechtliche Gleichbehandlungsgebot steht einem Dialog von Investor Relations, Vorstand oder Aufsichtsrat mit einzelnen Investoren nicht im Weg. Entscheidend ist vielmehr, dass es für die Auswahl der Investoren, denen Gespräche gewährt oder angeboten werden, sachliche Gründe gibt.
Um den Dialog zwischen institutionellen Investoren und Aufsichtsräten so fruchtbar wie möglich zu gestalten, hat die Initiative „Developing Shareholder Communication” acht Leitsätze formuliert. Diese richten sich an Investoren und an die in Deutschland börsennotierten Unternehmen mit Aufsichtsrat. Damit will die Initiative
a) eine informierte Diskussion des Themas Aufsichtsratskommunikation mit Investoren anzustoßen;
b) vor dem Hintergrund des regulatorischen Rahmens die Erwartungen von Investoren an deutsche Unternehmen zu managen;
c) über eine entwickelnde Praxis jenes Dialogs zwischen Investor und Aufsichtsrat zu informieren, ohne unternehmerische Handlungsfreiheiten zu beschränken.
Auch die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex wird vorschlagen, eine grundsätzliche Empfehlung oder Anregung zur Kommunikation zwischen Investor und Aufsichtsrat in den Kodex aufzunehmen.
Präambel
Die nachfolgenden Leitsätze zum Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat sollen eine praktische Orientierungshilfe hinsichtlich der Themen, der Beteiligten und der Ausgestaltung eines solchen Dialogs bieten und zugleich Leitplanken für die Kommunikation börsennotierter Unternehmen setzen. Darüber hinaus sollen sie zur Verbreitung guter Dialogformen beitragen.
Mit Blick auf die aktienrechtliche Kompetenzordnung wird ein Recht des Aufsichtsrats zum Dialog mit Investoren nur für die Themen verstanden, die in den Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Aufsichtsrats fallen; im Übrigen verbleibt die Kommunikationshoheit beim Vorstand als gesetzlicher Unternehmensvertreter. Eine Pflicht für Aufsichtsräte zum Dialog mit Investoren soll damit nicht zum Ausdruck gebracht werden.
Die Leitsätze stehen im Einklang mit den rechtlichen Rahmenbedingungen und dem Deutschen Corporate Governance Kodex in seiner aktuellen Fassung. Für die Beachtung der rechtlichen Beschränkungen, etwa aus dem Kapitalmarktrecht (Insiderinformation und Ad-hoc-Publizität), Verschwiegenheitspflichten und aktienrechtliche Gleichbehandlungsgebot können sinngemäß die Grundsätze, die schon heute Basis der Kommunikation von Investor Relations und des Vorstands mit einzelnen Investoren sind, angewendet werden.
Die Leitsätze sind nicht als starres Regelwerk formuliert, sondern bieten einen flexiblen Rahmen, der auf die spezifische Situation des einzelnen Unternehmens angepasst werden kann.
Die acht Leitsätze lauten wie folgt:
Leitsatz 1: Initiative und Themen
Zwischen Investoren und Aufsichtsrat kann ein Dialog geführt werden. Die generelle Entscheidung, ob ein solcher Dialog geführt wird, obliegt auf Seiten des Unternehmens dem Aufsichtsrat. Die Entscheidung über den Eintritt in einen konkreten Dialog trifft der Aufsichtsratsvorsitzende. Der Dialog umfasst ausschließlich Themen, die in den Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Aufsichtsrats fallen.
Leitsatz 2: Zusammensetzung und Vergütung des Aufsichtsrats
In einem Dialog können die Aufsichtsratszusammensetzung, der Besetzungsprozess sowie das Vergütungssystem des Aufsichtsrats erörtert werden. Konkrete Wahlvorschläge oder Einzelkandidaten sollen nicht besprochen werden.
Leitsatz 3: Binnenorganisation und Überwachungsprozess
In einem Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat können der Bericht des Aufsichtsrats und die aufsichtsratsbezogenen Themen des Corporate-Governance-Berichts, die Binnen-organisation im Aufsichtsrat, die Ausgestaltung der Überwachungs- und Mitwirkungsprozesse, die Ausschussbildung sowie die Effizienzprüfung und daraus getroffene Maßnahmen erörtert werden. Von einer Diskussion der Ergebnisse der Effizienzprüfung in Bezug auf einzelne Aufsichtsratsmitglieder soll abgesehen werden.
Leitsatz 4: Vorstandsbestellung, -abberufung und -vergütung
In einem Dialog können Anforderungsprofile für die Bestellung der Mitglieder und die Geschäftsverteilung im Vorstand besprochen werden. Konkrete Vorschläge oder Einzelkandidaten sollen nicht Gegenstand eines Dialogs sein. Des Weiteren können das Vorstandsvergütungssystem, geplante Veränderungen und etwaige Verbesserungsvorschläge sowie die Auslegung und gegebenenfalls die Inanspruchnahme von Ermessensspielräumen des Aufsichtsrats bei Vergütungsfragen mit Investoren diskutiert werden.
Leitsatz 5: Strategieentwicklung und -umsetzung
Die Entwicklung und Umsetzung der Unternehmensstrategie obliegt dem Vorstand. Im Rahmen eines Dialogs mit Investoren kann der Aufsichtsrat seine überwachende und mitwirkende Rolle im Strategieprozess und seine Einschätzung der Strategieumsetzung erläutern.
Leitsatz 6: Abschlussprüfer
In einem Dialog können die Anforderungskriterien und Meinungsbildung für die Auswahl des Abschlussprüfers sowie die Inhalte und Qualität der Zusammenarbeit zwischen Abschlussprüfer und Aufsichtsrat erörtert werden.
Leitsatz 7: Beteiligte
Der Aufsichtsratsvorsitzende vertritt den Aufsichtsrat in der Kommunikation mit Investoren. Er kann weitere Aufsichtsratsmitglieder (etwa Ausschussvorsitzende), den Vorstandsvorsitzenden oder andere Mitglieder des Vorstands zu einem Dialog hinzuziehen. Er informiert den gesamten Aufsichtsrat über die Gespräche.
Leitsatz 8: Ausgestaltung
Der Aufsichtsrat bespricht mit dem Vorstand Grundsätze für die Ausgestaltung eines Dialogs zwischen Investor und Aufsichtsrat.
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Eine englische Version finden Sie hier.
Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an:
Frau Daniela Mattheus
Executive Director
Ernst & Young GmbH
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
E-Mail: daniela.mattheus@de.ey.com
Über die Initiative
Gemeinsame Zielsetzung der Initiative war es, orientierungsgebende und aus der Praxis abgeleitete Leitsätze innerhalb der geltenden regulatorischen Rahmenbedingungen in Deutschland zu entwickeln. Neben der federführenden Arbeitsgruppe, die mit Unternehmens- und Investorenvertretern sowie Wissenschaftlern besetzt war, wurde die Initiative beratend von einer Stakeholder-Gruppe begleitet, in der auch Repräsentanten der Regulatoren sowie ausgewählter Verbände und Organisationen vertreten waren.
Mitglieder der Arbeitsgruppe
Prof. Dr. Alexander Bassen (Universität Hamburg), Dr. Jürgen Hambrecht (BASF, Daimler, Fuchs Petrolub), Dr. Hans-Christoph Hirt (Hermes Investment Management), Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus J. Hopt (Direktor em. Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg), Prof. Dr. Ulrich Lehner (E.ON, Henkel, Deutsche Telekom, Porsche Automobil Holding, ThyssenKrupp), Dr. Stephan Lowis (RWE), Ingo R. Mainert (Allianz Global Investors), Daniela Mattheus (EY), Prof. Christian Strenger (HHL Leipzig Graduate School of Management).
Mitglieder der beratenden Stakeholder-Gruppe
Dr. Paul Achleitner (Deutsche Bank, Bayer, Daimler), Kay Bommer (Deutscher Investor Relations Verband), Dr. Christine Bortenlänger (Deutsches Aktieninstitut), Dr. Werner Brandt (RWE, Deutsche Lufthansa, OSRAM Licht, ProSiebenSat. 1 Media), Dr. Joachim Faber (Deutsche Börse), Ralf Frank (Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management), Henning Gebhardt (Deutsche Asset Management Investment), Dr. Dr. h.c. Manfred Gentz (Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex), Claudia Kruse (APG Asset Management), Thomas Richter (Deutscher Fondsverband BVI), Dr. Manfred Schneider (ehemals RWE, Linde), Prof. Dr. Ulrich Seibert (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf), Ingo Speich (Union Investment), Norbert Steiner (K+S), Marc Tüngler (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz), Werner Wenning (Bayer, Henkel, Siemens).